“Der Wettbewerb in Europa ist in eine bedrohliche Schieflage geraten.”
“Der Wettbewerb in Europa ist in eine bedrohliche Schieflage geraten.”
Drei Fragen an Daniel Enke, Director Public Affairs & Corporate Citizenship bei Zalando
Drei Fragen an Daniel Enke, Director Public Affairs & Corporate Citizenship bei Zalando
Wo wird diese Wettbewerbsverzerrung sichtbar?
Um ein Beispiel zu nennen: Für Paketsendungen mit einem Wert von unter 150 Euro müssen bei der Einfuhr in die EU keine Zollgebühren bezahlt werden. Logistikexpert*innen gehen davon aus, dass allein die zwei führenden Anbieter aus China jeden Tag unkontrolliert ca. 500.000 Pakete an Verbraucher*innen in Deutschland schicken. Insgesamt landeten im vergangenen Jahr laut der EU-Generaldirektion Steuern und Zollunion zwei Milliarden dieser Pakete in Europa. Die Pakete sind meist unterdeklariert oder aufgeteilt auf mehrere Sendungen. So umgehen sie die 150 Euro-Zollgrenze. Die Endkund*innen treten dabei als Importeure auf. Auf diese Paketflut und diese Art der Geschäftsbeziehung sind die existierenden Kontrollmechanismen innerhalb der EU nicht ausgelegt.
Auf diese Weise erhalten die chinesischen Firmen quasi einen Gratis-Rabatt, während den europäischen Mitgliedstaaten erhebliche Einnahmen entgehen. Außerdem kann angesichts der massiven Paketflut nicht überprüft werden, was in den Sendungen überhaupt enthalten ist. Das kann für Verbraucher*innen schnell gefährlich werden. Es muss nachvollziehbar sein, welche Waren verschickt werden und ob sie den europäischen Sicherheitsstandards entsprechen.
Darum befürworten wir die Abschaffung der 150-Euro-Zollregelung, noch deutlich vor dem Jahr 2028, und eine strengere Kontrolle, insbesondere im Bereich der Produktsicherheit. Nur so können europäische Verbraucher*innen wirksam geschützt werden. Die Europäische Kommission hat hierzu einen Vorschlag gemacht, der von vielen Mitgliedstaaten unterstützt wird – Deutschland gehört inzwischen auch dazu.
Du hast strengere Kontrollen erwähnt. Wo muss die Politik ansetzen?
Die Kontrolle von Einzelsendungen muss deutlich effizienter werden. Beispielsweise haben die europäischen Regierungen keine Kenntnis über importierte Mengen oder Anteile nach Herkunftsländern – für deren Erfassung gibt es schlicht keine Rechtsgrundlage. Das muss sich ändern.
Wir laufen Gefahr, dass wir es außereuropäischen Unternehmen einfacher machen, in Europa Geschäfte zu machen als für hiesige Anbieter. Deshalb müssen nicht-europäische Plattformunternehmen mit Direktvertriebsmodellen eine Vertretung in der EU haben und volle Verantwortung für ihre direkt an europäische Kund*innen importierten Produkte übernehmen, sofern die tatsächlichen Verkäufer nicht greifbar sind.
Die Durchsetzung von europäischem Recht sollte die Norm sein, nicht die Ausnahme. Derzeit fehlt es an wirksamen Instrumenten, die in allen Mitgliedstaaten effizient funktionieren. Ein Ansatz könnte darin bestehen, mehr Kompetenzen auf EU-Ebene zu zentralisieren, um europaweit tätige Unternehmen besser ins Visier nehmen zu können. Indem die Kommission die Wirksamkeit der neu angenommenen Instrumente erhöht, kann sie die Integrität der EU-Vorschriften besser schützen.
Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Zoll-, Steuer- und Verbraucher*innenschutzbehörden der EU-Mitgliedsstaaten noch enger zusammenarbeiten und systematisch Informationen erheben und austauschen. Dies würde zu einer besseren Einhaltung der EU-Vorschriften führen. Derzeit beobachten wir, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten neue Untersuchungen eingeleitet oder von Verbraucher*innenschutzorganisationen beantragt werden. Das deutet darauf hin, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein systemisches Problem handelt, das auf EU-Ebene angegangen werden sollte.
Es geht hier nicht nur um Zalando oder die wirtschaftlichen Interessen der europäischen E-Commerce-Branche. Selbst scheinbar geringfügige Verstöße haben erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen und Verbraucher*innen in der EU, insbesondere wenn sie in großem Umfang auftreten. Verbraucher*innen sollten darauf vertrauen können, dass alle Unternehmen, die innerhalb der EU wirtschaften, sich auch an europäisches Recht halten und dass europäische Kontrollbehörden dieses Recht entsprechend durchsetzen können.
Vielen Dank für das Gespräch, Daniel!